kuratiert von Günther Holler-Schuster
Ein Jahr nachdem Josef Pillhofer 100 Jahre alt geworden wäre gedenkt Mürzzuschlag des bedeutenden Künstlers und Sohnes der Stadt. Im letzten Jahr kam es auf institutioneller Ebene (Leopold Museum Wien, Neue Galerie Graz) zu grundsätzlichen Präsentationen seines vielschichtigen Werks. Stand in Wien der Versuch einer Gesamtschau, einer Auratisierung im Zentrum, so war es in Graz der Blick auf radikalere Detailfragen innerhalb der Entwicklung Pillhofers. Zwei Versuche zum selben Künstler, zwei Sichtweisen auf ein und dasselbe Oeuvre. Einen linearen Verlauf nahm Pillhofers Schaffen niemals. Vielmehr war es die Gleichzeitigkeit, mit der der Künstler zentrale Fragen unterschiedlich zu beantworten suchte. Sein Werk verdichtet prinzipielle Überlegungen der Skulptur des 20. Jahrhunderts. Das Anthropomorphe spielt dabei genauso eine Rolle wie die Kategorien Masse, Volumen und Schwerkraft. Pillhofer bleibt jedoch nicht bei einer einzigen Entwicklungslinie. Sein Werk ist von Beginn an als forschend und analytisch zu betrachten. Der Künstler widmet sich gleichzeitig radikalen Überlegungen und ersetzt starre bildhauerische Traditionen, indem er Kategorien wie Raum und Bewegung einbringt.
Raumkunst und menschliche Proportion
Man kann die Bildhauerei als „Raumkunst“ beschreiben. Der plastische Raum ist jener, den die Skulptur in Verbindung mit dem sie umgebenden Raum erzeugt. Wenn von „Raumkunst“ die Rede ist, spielt die Architektur eine offensichtliche Rolle. Architektur bedeutet „Raum“, bedeutet vor allem das Erzeugen von Raum. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings beansprucht auch die Skulptur diese Disziplin. Pillhofer war von 1972 bis 1974 Leiter des Instituts für künstlerisches Gestalten an der Technischen Universität Graz. Als solcher war er eng mit den Fragestellungen der Architekt*innen konfrontiert und konnte diese mit seinen eigenen Überlegungen überprüfen. Die Ausstellung im Kunsthaus Mürzzuschlag versucht diese Nähe von Architektur und menschlicher Figur bzw. von gemeinsamen Proportionsverhältnissen zu zeigen. So wird das „Römische Mädchen“ – sowohl als Skulptur wie auch als Serie von monumentalen Proportionszeichnungen – zu einer Art Idealschema. Das historische Vorbild dafür ist die „vitruvianische Figur“, bekannt gemacht gleichzeitig von Leonardo und Dürer. Sie bezieht sich nicht nur auf die Proportionen des menschlichen Körpers. Vielmehr ist sie ein Beispiel für die Maßverhältnisse im Tempelbau. Die Körperarchitektur wird dabei als ein Modell der Natur vermessen, um sie auf den Tempelbau anzuwenden. Man könnte sagen, dass Leonardo dadurch die Begrenztheit der körperlichen Sphäre erfasst hat. Der reale Körper lernt in der Selbsterforschung seine Grenzen kennen. Leonardo hat wohl die ersten Flugmaschinen entworfen, er hat damit aber auch die Geschichte der Körperprothesen vorausgedacht.
Blechbiegungen
Die von Josef Pillhofer bereits zu Beginn der 1950er Jahre begonnenen Blechbiegungen weisen auf die Beziehung zwischen Raum, Körper und Bewegung hin. Seine in Paris etwa zur selben Zeit entstandenen kubistisch motivierten Akte reduzieren die anatomische Realität immer weiter, bis zur vollständigen Abstraktion. Die Skulptur ist nicht länger das, was an Masse vorhanden ist, sondern schließt Um- und Zwischenräume mit ein. In den Blechbiegungen, die der Künstler bis zum Schluss immer wieder produzierte, wird das deutlich. Die aufgeklappten Flächen hinterlassen Leerstellen, erzeugen andererseits wieder Begrenzungen neu entstandener Volumina und sind selber durch ihre Physikalität Flächen bzw. Körper. Die Nähe zu Architekturmodellen ist verblüffend. In seinen als „Blecharchitektur“ bezeichneten Aluminiumskulpturen von 1995 bezieht sich Pillhofer auf die Fibonacci-Zahlenreihe und schafft damit ein Objekt zwischen Skulptur und Architektur. Wie für die Konstruktivisten und Konkreten war auch für Pillhofer in dem Moment klar, dass Mathematik und Naturwissenschaften nichts Hermetisches, Unzugängliches oder Formelhaftes an sich haben, sondern vor allem Mittel der Erkenntnis sind – von Maß und Ziel bestimmt sind.
Wotruba und darüber hinaus
Pillhofer, dessen Ausbildung in Paris (Henri Laurens, Ossip Zadkine) und Wien (Fritz Wotruba) stattfand, wird immer wieder vor allem mit Wotruba in Verbindung gebracht. Der monolithische Lehrer bestimmt nach 1945 das bildhauerische Geschehen in Österreich nahezu ausschließlich. Sich davon zu befreien war für die Student*innen nahezu unmöglich. Seine kubische Abstraktion des menschlichen Körpers, seine tektonischen Konstruktionen und seine starke Persönlichkeit als Lehrer waren maßgeblich. Pillhofer konnte sich weitestgehend befreien – nicht zuletzt durch sein intensives Studium und die Begegnungen mit namhaften Künstlern in Paris. Pillhofer wechselt ständig zwischen realistisch-klassischer Gegenständlichkeit, kubischer Reduktion und dem Wechselspiel zwischen Zweidimensionalität und Dreidimensionalität – beispielsweise bei den Blechfaltungen. Parallel dazu entstanden unzählige Zeichnungen sowie zahlreiche Collagen, in denen er nicht nur die bildhauerischen Werke begleitete, sondern zusätzliche Dimensionen des Visuellen erschlossen hat. Es sind teilweise Proportionsstudien, um die es sich hier handelt. Es sind aber auch Landschaftszeichnungen, die das Skulpturale in sich eingeschrieben zeigen. Die Skulptur ist somit sehr wohl auch immer wieder aus der sichtbaren und realen Welt abgeleitet.
Es ist die Vielschichtigkeit und die Komplexität, die Pillhofers Werk so besonders erscheinen lässt. Gleichzeitigkeiten – beispielsweise von Gegenständlichkeit und Abstraktion – sind in seinem Werk von Beginn an selbstverständlich und hängen untrennbar miteinander zusammen. Josef Pillhofer vollzieht die Gesetze der Moderne genauso, wie er sie ständig bricht bzw. sie präzisiert oder zu erweitern versucht.
Günther Holler-Schuster
©Alois Luksch
Dauer der Ausstellung: 2. Juli bis 21. August 2022
Öffnungszeiten: Donnerstag – Samstag: 10.00 – 18.00 Uhr, Sonntag: 10.00 – 16.00 Uhr
Die Josef Pillhofer Skulpturenhalle in Neuberg kann nach Anmeldung besucht werden.
Kontakt: info@josefpillhofer.at, Tel.: 069912331015
Adresse: 8692 Neuberg an der Mürz, Steiermark
www.josefpillhofer.at